Gespräche über Bilder. Kuratiert von Dieter Jüdt, Falk Nordmann, Andreas Rauth
No. 2
Die Zeichenkunst entsteht nach einer von Plinius d. Ä. verbreiteten Legende, als ein Mädchen aus Korinth den Schatten ihres Geliebten an einer Wand nachzeichnet, weil dieser am nächsten Tag in den Krieg ziehen muss. Das Bild soll die junge Frau über die zukünftige Abwesenheit des Geliebten hinwegtrösten, indem es eine Spur seiner Anwesenheit bewahrt.
Im Ursprungsmythos der abendländischen Kunst ist bereits der Anspruch enthalten, Bilder mögen die Präsenz einer Person nicht nur für die Zeit vorübergehender Abwesenheit, sondern auch über den Tod hinaus, bewahren. Doch der Wunsch wird häufig von der materiellen Wirklichkeit allzu bald durchkreuzt: Farben lösen sich auf oder bleichen aus, der Malgrund bröckelt, wird rissig, vergilbt. Selbst in Stein gehauene Standbilder sind auf lange Sicht gegen Umwelteinflüsse nicht widerstandsfähig.
Umgekehrt erweisen sich Vorstellungsbilder, die selten oder nie materiellen Status erreichen, außerordentlich resistent gegen jede Veränderung. Sind sie so dauerhaft wegen ihrer Flüchtigkeit?
Es gibt aber auch materielle Bilder, bei denen der vorübergehende Charakter nicht nur einkalkuliert wird, sondern fester Bestandteil ihrer Wirkung ist. So werden in Bilderritualen der »Navajo« Indianer magische Figuren nur für die Dauer von 12 Stunden mit trockener Farbe auf den Boden gemalt.
Im 19. Jahrhunderts setzt, zunächst mit der Fotografie, dann mit der kommerziellen Filmtechnik eine massive Zunahme flüchtiger Bilder ein, und mit dem Einzug digitaler Medien hundert Jahre später wird der vorübergehende Charakter fast zu ihrer Grundeigenschaft. Der Wunsch, im Bild das Vergängliche überdauern zu lassen, scheint sich in Pixel aufgelöst zu haben.
Einiges über Präsenz und Flüchtigkeit der Bilder, den Wunderblock, die Zaubertafel, Bildträger, Palimpseste und Bildschirme erzählen Dieter Jüdt, Falk Nordmann, Andreas Rauth.
Jitter’s Wunderblock No.2
Mittwoch 24. Oktober 2012 | 20 Uhr
erstererster. Projektraum für ästhetische Arbeit
Papelallee 69
10437 Berlin Prenzlauerberg
Eintritt 3 EUR
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»Ich fühle nur, dass ich elend bin, wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufsuche, das meine ganze Seele regiert.«
Ludwig Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen, 1798

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