DAS ERHABENE STÜRZT INS LÄCHERLICHE
WALTON FORD: BESTIARIUM
Von Andreas Rauth
In der Mitte des Ausstellungsaals im Hamburger Bahnhof, wo noch bis zum 24. Mai Walton Fords Tieraquarelle gezeigt werden, sind zwei Bänke aufgestellt. Dort Platz nehmen heißt, sich mitten hineinzubegeben, in das Bestiarium. Erst wenn man sich umstellt fühlt, verbreiten die in leuchtenden Farben gemalten, lebensgroßen und gelegentlich auch über lebensgroßen Tierdarstellungen den Schrecken einer prachtvollen Schlachtplatte. Ford erzählt die Kulturgeschichte der Mensch-Tier-Beziehung in Formaten, die alles im Bereich der Illustration Übliche sprengen. Dadurch gewinnen die als Interpretationen zu kurzen Textstellen historischer Berichte angelegten Arbeiten eine Unmittelbarkeit, die fast vergessen lässt, dass es sich um Bilder handelt.
>>Ästhetisch bezieht sich Ford in seinen Aquarellen auf die Arbeiten von John James Audubon (1785-1851), dem Zeichner der berühmten Birds of America, einer 1840 erstmals veröffentlichten Sammlung von 435 Illustrationen amerikanischer Vogelarten. Von diesem stammt auch ein Großteil der den Bildern vorausgehenden Texte. Doch Audubon liefert nur den augenfälligsten Hintergrund für das wild-groteske Szenario. Sorgfältige Recherchen in Zeitdokumenten der letzten 350 Jahre bilden die unverzichtbare Basis und Vorbereitung für die narrativen Gemälde. Fords Bilder leben von Geschichten, die er mal im Tasmanian Mail Supplement von 1887 findet, mal in Tagebuchaufzeichnungen von Samuel Pepys aus dem Jahr 1661 oder in einer Jagdnotiz von Ernest Hemingway von 1954. In dem Sinne ist Ford Illustrator, auch wenn die Kunstwelt vor dem Wort zurückschreckt wie der Teufel vorm Weihwasser, unbeirrt der Behauptung folgend, man käme hier ohne Interpretation aus. Der Künstler selbst geht übrigens ganz ungezwungen mit der Bezeichnung um, wie man einem Artikel, erschienen im New Yorker im Januar 2009, entnehmen kann.
>>Die Bilder zeigen Einzelportraits, Gruppen und manchmal auch massenhafte Ansammlungen von Tierindividuen in Landschaften, die den Blick immer bis zum Horizont freigeben. So verleiht Ford den Geschichten Wahrhaftigkeit. Die Zufälligkeit der Ereignisse wird in der Weltgeschichte aufgehoben: Hier geschieht es, es ist in der Welt und die Welt ist darin. Mensch und Tier sind, um mit dem Philosophen Wilhelm Schapp zu sprechen, in dieselbe Geschichte »verstrickt«.
>>Als deren Auslöser bleibt der Mensch von den Bildern allerdings weitestgehend ausgeschlossen. Den Abenteurer und Tierfänger Paul Du Chaillu (oder einen seiner afrikanischen Begleiter) etwa, dessen 1862 veröffentlichter Reisebericht im Frontispiz einen zähnefletschenden, hochaufgerichteten Gorilla zeigte und damit auf Jahrzehnte das Bild vom Menschenaffen als Monster prägte, sieht man in ironischer Umkehrung der Ereignisse nur als lebloses Beinpaar ins Bild ragen, während der Gorilla das Gewehr untersucht. Auch in anderen Arbeiten kommt den Dingen eine vermittelnde Rolle zu. Einerseits repräsentieren sie menschliche Anwesenheit, da sie dessen Sphäre entstammen, lassen sich aber auch, weil sie weder Tier noch Mensch und wesentlich über einen Gebrauch definiert werden, der von Tier wie Mensch gleichermaßen, wenn auch nicht gleichartig ausgeübt werden kann, potenziell beiden Seiten zuschlagen. Dinge, wie etwa die perfide Falle in der Arbeit »Bula Matari« (1998), die, Bild- und Tötungsapparat zugleich, das ahnungslose Okapi im Augenblick seines Todes fotografisch festhalten wird, sind sogar für den ausdrücklichen Gebrauch durch das Tier bestimmt. Dabei kontrastiert Walton Ford mit ironischem Vortrag die Unerbittlichkeit sowohl des Gewaltigen wie des Geringfügigen. Im Schein einer traurigen Zufälligkeit stürzt das Erhabene ins Lächerliche.
>>Das Bild gehört dem Tier, das für den Menschen zur Vorstellung seiner eigenen Unmenschlichkeit wird. Von seinen Mitgeschöpfen einerseits durch eine fundamentale Differenz getrennt, verbindet ihn mit diesen andererseits eine große Ähnlichkeit, die jene faszinierende Nähe begründet, aus der die Bilder ihren Reiz gewinnen. Ob dem Tier Menschliches untergeschoben wird oder in ihrem Verhalten der Mensch aufscheint: Das Tier markiert eine Grenze, auf der sich der Anthropomorphismus als Erklärung für das Unerklärliche anbietet.
>>Um den Verlauf dieser Grenze wird fraglos eine gewaltige Schlacht geschlagen. Überall lauert der Tod. Die Begegnungen des Mensch mit der ihm so ähnlich-unähnlichen Kreatur sind gekennzeichnet von einem unbedingten Vernichtungswillen. Zwar erinnert Ford an eine Zeit, als der Mensch der Kreatur noch nicht mit Massenvernichtungswaffen auf den Leib rückte. Es ist aber auch die Zeit, als sich der Mensch seiner eigenen Kontingenz schmerzhaft bewusst wurde und die Gemälde berichten davon, wie sehr er die Natur dafür büßen lässt, dass er ein Teil von ihr ist. Charles Darwin hatte in seiner 1859 veröffentlichten Evolutionstheorie den Abstand zwischen Mensch und Tier auf so unerhörter Weise verringert, dass die Welt unter Schock stand. Um die heilsame Wahrheit eines kategorialen Abstandes zu retten, der zuvor von der Schöpfung unveränderlich gesichert schien, sah man sich gezwungen, jede Ähnlichkeit mit dem Tier abzuwerten. Gerade an den Menschenaffen entzündete sich die Angst vor der animalischen Regression, »Du Chaillus’ Gorilla war das Tier, das alles auf sich vereinte, was der weiße Europäer nicht sein wollte: grausam, dumm, haarig und schwarz.«
>>Die Definition von Menschsein hängt am Tier. Und je näher dieses kommt, desto schmaler wird die Basis für jenen. Mit dem Tier wird der Körper zur Metapher des Unkultivierten, Barbarischen, der in einer zweiten Bewegung auch die Differenz innerhalb der Art Mensch klären soll. Im Fremden bietet sich ein willkommenes Gefäß für das verdrängte Eigene: hier haust das Tier. Die Angst vor dem Verlust von Menschlichkeit zieht sich als Riss durch die Menschheit. Aus dessen Tiefe schlagen immer wieder lustvoll-grausam Funken nach der Überschreitung der Leibgrenze. So hat die Tötung des Tieres auch immer Stellvertreterfunktion. Dass sich auf fast allen Bildern der Ausstellung ein großes Feuer ausbreitet, unter dem Wälder und Städte verkohlen, unterstreicht die Reibungshitze einer in der Mensch-Tier-Begegnung eingeschlossenen Mensch-Mensch-Begegnung. Auf dem Grund aller Geschichten liegt eine Welt in Aufruhr, weil diese eine immer eine geteilte ist – nur selten gönnt Ford dem Betrachter Momente der Ruhe.
Walton Ford. Bestiarium
23.01. – 24.05.2010
Hamburger Bahnhof.
Museum für Gegenwart Berlin
Invalidenstraße 50–51, 10557 Berlin
www.waltonford.org
Abb. alle: © Walton Ford, Courtesy Paul Kasmin Gallery:
(von oben nach unten)
•Royal Menagerie at the Tower of London, 2009
Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier
152.4 x 303.5 cm
•An Encounter with Du Chaillu, 2009
Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier
242.6 x 152.4 cm
(S. 6)
•Baba - B.G., 1997
Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier
105.1 x 74 cm
•The Sensorium, 2003
Aquarell, Gouache, Tinte und Bleistift auf Papier
152.4 x 302.3 cm
Weitere Artikel:
(12.02.2012)_Die Welt als Wunderkammer
Milieustudien von Ulrike Seitz. Von Kathrin Tobias.
(05.01.2012)_Stilwechsel.
E. T. A. Hoffmann:
Das Fräulein von Scuderi. Eine Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht. Rezension von Andreas Rauth.
(22.12.2010)_Absolute PartyAudio.Visual—On Visual Music and Related Media. Rezension von Andreas Rauth.
(04.11.2010)_ Und nicht vergessen: Tragen Sie eine Sonnenbrille! Rezension und Interview zu Felix Scheinbergers »Mut zum Skizzenbuch«. Von Dieter Jüdt
(24.08.2010)_ Blexbolex: Jahreszeiten. Programmatisch. Ein Spiel mit Bildern und Begriffen, von Andreas Rauth.
(07.06.2010)_ Ein Nachruf auf Frank Frazetta: Animalische Direktheit.
Von Dieter Jüdt.
(03.05.2010)_ Walton Ford: Bestiarium: Das Erhabene stürzt ins Lächerliche. Ausstellungsbericht von Andreas Rauth.
(31.03.2010)_ Lubok bei Bongoût: Eine ausgestorbene Drucktechnik wiederbeleben.
Von Andreas Rauth.
(04.03.2010)_ Larissa Bertonasco: La Cucina Verde. Interview von Andreas Rauth.
(11.09.2009)_David von Bassewitz: »Je spitzer die Feder, desto mehr erkennt man«. Interview von Andreas Rauth.