Eine ausgestorbene drucktechnik wiederbeleben
Der Leipziger Lubok Verlag in der Bongoût Galerie
Von Andreas Rauth
Das Künstlerbuch ist eine Utopie, und das mag kaum überraschen. Wo, wenn nicht im medialen Zentrum der Schriftkultur sollten Utopien ankern und revolutionäre Ideen sich ausbreiten? Weit davon entfernt nur ein Objekt zu sein, finden radikale Gedanken und Erneuerungswille im »Kulturgut« Buch ihren bestmöglichen Träger und gleichzeitig die ideale Angriffsfläche auf alles Etablierte und Normierte. Durch Umcodierung soll das Buch der Tradition entrissen werden und die Tradition gleich mit. Das trieb den Futuristen Filippo Tommaso Marinetti wie den Fluxus-Gründer George Maciunas. Einfache Distribution und ästhetische Komplexität, die es zu einer Art »Gesamtkunstwerk fürs Volk« machen – die nächsten künstlerischen Verwandten, Oper und Architektur, sind in Fragen der Distribution schlecht aufgestellt oder einem elitären Kunstverständnis verhaftet –, bieten die besten Voraussetzungen für die massenhafte Verbreitung einer fundamentalen Kritik. Marinetti verfolgte nichts Geringeres als den neuen Menschen, die typografische Revolution war dafür Ausdruck und Ausgang: »The book must be the Futurist expression of our Futurist thought.« Maciunas knüpfte an die Idee von der Aufhebung jeglicher Grenze zwischen Kunst und Leben an. Im Geist von »Vaudeville and gags like Buster Keaton and futuristic theatre. Than Marcel Duchamp, than the dadas, but especially the Paris Dadas«, sollte »Fluxus« zum großen Strom der Veränderung werden und als Anti-Art die Welt des »Europanism« mit sich reißen. Nach dem bereits 1995 ausgerufenen »Ende der Gutenberg-Galaxis« scheint die Arbeit am Buch jedoch ihr avantgardistisches Potential eingebüßt zu haben.
>> Nicht so sehr der Bruch mit den Traditionen als vielmehr deren Fortsetzung in einem zeitgemäßen Gewand ist daher das Anliegen von Lubok. »Wir wollen das Buch nicht neu erfinden«, sagt Thomas Siemon, der zusammen mit Christoph Ruckhäberle 2007 den Lubok Verlag gründete, »es ist einfach spannend, eine ausgestorbene Drucktechnik mit aktuellen Inhalten neu zu beleben.« Lubok Bücher sind Linolschnittbücher, gedruckt auf einer »Präsident«-Schnellpresse der Firma Albert-Frankenthal von 1958, mit Auflagen von 300 bis 1000 Exemplaren. Den meisten wird der Linolschnitt noch aus dem Kunstunterricht bekannt sein, ihm haftet das Image einer Laientechnik an, die für große Kunst nicht taugt. Tatsächlich bedeutet es für die bei Lubok publizierenden Künstler zunächst eine ziemliche Umstellung. Doch entpuppt sich das scheinbar so enge technische Korsett als äußerst vielfältig. Mit der Malerin Katharina Immekus etwa haben Siemon und Ruckhäberle Haus Helga, ein Buch mit 100 Linolschnitten von Hotels und Gasthöfen produziert (Abb. 1), für dessen Motive die Technik geradezu ideal scheint und man bei Durchsicht kaum glauben mag, die Künstlerin habe je etwas anderes gemacht, so selbstverständlich kommt das Ergebnis daher. Im harten Schwarzweiß, vom Kitsch entkleidet, starren die Herbergen in beredter Leblosigkeit und dennoch postkartentauglich auf den Betrachter.
>> Ganz anders dagegen die Arbeiten von Volker Pfüller, ehemals Professor für Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, mit dem bereits 3 Bände in der Reihe Lubok Spezial realisiert wurden. Zuletzt gab es mit Tierlein ein Buch mit 32 mehrfarbigen Linolschnitten von realen, phantastischen und Medientieren (Abb. 3). Dieses wie auch das Kinderbuch Emma und Pferd Beere von Heike Geißler mit Illustrationen von Simone Waßermann wurden von der Stiftung Buchkunst im letzten Jahr ausgezeichnet. Die Geschichte vom Mädchen Emma, vor dessen Tür plötzlich das imaginäre Pferd Beere steht, produzierte Lubok im Offsetdruck. Denn neben den Linolschnittreihen Lubok und Lubok Spezial hat sich eine dritte Reihe von anderen, nicht originalgrafischen Büchern entwickelt, die »vor allem durch Kooperationen mit befreundeten KünstlerInnen und Galerien ermöglicht« wird. Erwähnt sei an dieser Stelle noch der Ausstellungskatalog Die Anderen von Matthias Ludwig.
>> Lubok ist nicht einfach ein Verlag, Netzwerkarbeit für und mit der nationalen und internationalen Grafikkunst-Szene ist wichtiger Bestandteil des Unternehmenskonzeptes. Solches Engagement ist mittlerweile auch offiziell förderungswürdig: Im vergangenen Jahr wurde dafür der Sächsische Initiativpreis für Kunst und Kultur »als zukunftsweisende kulturelle Einrichtung in Struktur und Organisation« vergeben. »Den Preisgebern hat besonders gefallen, dass wir die Vernetzung von Künstlern untereinander und mit Einrichtungen der Kunstszene fördern, von der letztlich alle Beteiligten profitieren«, erläutert Thomas Siemon das Konzept. Ganz aktuell sei auf dem Wege eine Einzelausstellung von Jens Schubert, dessen Arbeiten in Lubok 7 vertreten sind, in der Berliner Galerie Bongoût zustande gekommen.
>> Dass dort Lubok als Verlag noch bis zum 10. April mit einer Ausstellung zu Gast ist (Abb. 2 und 4), erschließt sich wohl schon aus einer gewissen geistigen Nähe. Auch bei Bongoût fühlt man sich dem Netzwerkgedanken verpflichtet. Mit »We are building bridges« haben Christian »Meeloo« Gfeller und Anna Hellsgård, die seit 15 Jahren gemeinsam ein Design Studio betreiben und im Februar 2008 in der Torstraße 110 in Berlin Mitte die Galerie eröffneten, ihre Aktivitäten überschrieben. Gezeigt werden neben sämtlichen Künstler- und anderen Büchern auch Originalgrafiken von u. a. Christoph Ruckhäberle, dessen Arbeiten an eine Mischung aus Picasso, Balthus und Vasarely erinnern, Holzschnitten von Gabriela Jolowicz, Malerei von HAGEL, Schablonengrafitti von Christoph Feist und Linolschnitten von Jens Schubert. Bücher wie Originalkunst sind natürlich käuflich zu erwerben und, weil man sich die Leitidee »Bilder fürs Volk!« zur Handlungsmaxime gemacht hat, zu erschwinglichen Preisen.
Lubok bei Bongoût
Torstraße 110
10119 Berlin
Noch bis zum 10. April
Öffnungszeiten: Di-Sa, 12 - 19:00 Uhr
www.bongout.org
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