EDITORIAL #04 BIESTER
Eine der Schlüsselszenen in dem Film King Kong zeigt den Riesenaffen im Kampf mit der urzeitlichen Donnerechse Tyrannosaurus rex. Spätestens mit diesem selbstlosen Engagement für die »weiße Frau«, Ann Darrow, hat der monströse Gorilla alle Sympathien des Betrachters auf seine Seite gezogen. Die Szene ist aber auch noch aus einem ganz anderen Grund interessant. Das Zusammentreffen der beiden Giganten ist nämlich höchst merkwürdig, handelt es sich bei dem einen Ungeheuer doch um ein von der paläontologischen Wissenschaft beglaubigtes Lebewesen, dessen Realpräsenz auf diesem Planeten lediglich ein paar hundert Millionen Jahre zurückliegt. Der Tyrannosaurus verdankt seine Existenz der Wissenschaft. Das Phantastische liegt hier weniger in der Kreatur selbst, als in dem im Bild mühelos vollzogenen Zeitsprung.
Die Existenz von Kong indes ist wissenschaftlich nicht bestätigt. Den – wie der Ausgang des Kampfes bestätigt – uneingeschränkten Herrscher über Skull Island kennzeichnet zwar eine deutliche physiognomische Nähe zum neuzeitlichen Gorilla, doch seine ins Riesenhafte gewachsene Gestalt entbehrt jeglicher empirischen Grundlage. Mag der Tyrannosaurus auch schrecklicher sein, das eigentliche Monstrum ist der Affe, der trotz seiner vertrauten Gestalt reine Phantasie ist. Er verdankt seine Entstehung dem Unbewussten. Wenn man so will, sieht man dort Charles Darwin (T. rex) gegen Sigmund Freud antreten (Kong).
Und damit wären auch die beiden Seiten der Mensch/Tier-Beziehung angesprochen: die irrationale, anthropomorphisierende Seite, die im Tier alles Menschliche und Unmenschliche entdeckt, und das rationale, wissenschaftliche Interesse, das Form, Struktur und Verhalten der Lebewesen kennenlernen und verstehen möchte.
Beide finden sich im Bild wieder, wobei sich die Bereiche überlagern: das Wissenschaftliche ist nie ganz frei von Beimischungen des Irrationalen, das Irrationale bedient sich Elemente des Wissenschaftlichen.
Die populäre Bilderwelt liefert hierfür unzählige Beispiele. In der Illustration steht das Thema seit den Zoogründungen im 19. Jahrhundert und einem damit einhergehenden Bedürfnis nach immer neuen Tierbildern unangefochtenen auf dem ersten Platz; der Animationsfilm – ohne Tier ebenso undenkbar wie der Comic mit seiner berühmtesten Familie, den Ducks. Aber auch für Karikatur, Cartoon, Werbung, ja selbst Streetart und Graffiti ist das Tier unverzichtbar. Und der jüngste Spross, das grafisch reduzierte Characterdesign, ist nichts anderes als ein bunter Biesterreigen.
Andreas Rauth
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