abstrakte Architektur oder
ein Hund am Galgen
Was macht ein BÜhnenzeichner?
Interview mit Ulrich Scheel, der als Live-Zeichner in der NOVOFLOT-Oper »Das Schloss« im Haus der Berliner Festspiele mit auf der Bühne steht.
Jitter: Wie wird man Bühnenzeichner?
Ulrich Scheel: Durch den gleichen dummen Zufall, durch den ich auch an alle meine anderen Jobs komme: Man hat Freunde, Beziehungen und über drei Ecken landet man auf der Silvesterparty einer Bühnenbildnerin, die mit einem Regisseur zusammen arbeitet, der fünf Jahre später mal etwas ganz Unkonventionelles ausprobieren möchte.
Was macht ein Bühnenzeichner?
Wider Erwarten zeichnet er selten Kulissen und Requisiten. Das tut er nur in besonderen Fällen, zum Beispiel wenn abstrakte Architektur gezeigt werden soll oder ein Hund am Galgen gebraucht wird. Vielmehr tut er drei Dinge: Signale an die Schaupieler senden und sie mit einem Zielbild zu einer bestimmten Handlung verleiten. Universelle Symbole einwerfen und somit der Handlung eine sehr analogische, parabelhafte Bedeutung geben. Oder aber Querschießen, Persiflieren, durch den Kakao ziehen und damit zeigen, dass selbst hochtrabendste Theaterlyrik im Grunde auch nur von Menschen wie dir und mir handelt.
Womit zeichnest du auf der Bühne?
In den meisten Fällen habe ich ein Laptop mit Grafiktablett, das abwechselnd auf mehrere Beamer geschaltet wird. Manchmal male ich auch mit dicken Eddings auf Pappwände oder Folie. Einmal bin ich als betrunkener Seemann durch den Bühnenraum getorkelt und habe alle Wände mit bunter Kreide vollgekrakelt. Es gibt auch Szenen, in denen ich nur so tue, als würde ich zeichnen, womit ich in einem Stück eine sehr geheimnisvolle Beobachterrolle übernehmen kann.
Worauf muss man am meisten achten, wenn man auf der Bühne vor Publikum zeichnet? Was machst du, wenn du dich verzeichnest?
Das wichtigste ist, sich seine Einsätze gut zu merken, weil davon die Handlung der anderen Schauspieler abhängt. Man muss in der Lage sein, eine Zeichnung 25 Mal absolut zeit- und posititonsgetreu zu wiederholen, und sie dabei so aussehen zu lassen, als hätte man sie grad zum ersten Mal gemacht. Außerdem ist es wichtig, eine Zeichnung spannend aufzubauen, zum Beispiel sollte man eine Kutsche bei den Insassen am Fenster starten und beim Pferd aufhören, so wird der Zeichenprozess für den Zuschauer interessanter. Kleine Verzeichner kann man in Kauf nehmen, weil sie zu einer Live-Aufführung dazugehören. Das akzeptieren auch die Zuschauer. Größere Fehler treten selten auf, da man in der Regel bis zum Umfallen probt und die Bilder irgendwann aus dem FF zeichnet. Sollte dennoch mal was schiefgehen, hilft am Laptop ein einfaches Strg+Z. Beim Malen mit Edding auf der Kulisse bedarf es schon einiger Erfahrung in »virtuoser Fehlerkorrektur«, um grobe Schnitzer schnell auszubessern.
Wie verlaufen die Proben und wie häufig wird geprobt?
Alles beginnt mit einer ganz normalen Brainstorming-Phase. Anders als bei Designern hört diese Phase nie auf, sondern hält bis zum Tag der Premiere an. Es findet sich immer jemand im Team, der einem noch drei Minuten vor Aufführungsbeginn seine spontanen Änderungswünsche durchgibt. Das kann ganz schön nerven, und ich musste mich erstmal daran gewöhnen. Der Grund für diese Arbeitsweise ist, dass Theaterleute ihre Bilder ganz anders entwickeln. Vieles entsteht im laufenden Prozess, es wird eine Menge ausprobiert und manchmal liefert der Zufall oder der Witz eines Schauspielers die zündende Idee.
Gibt es historische Vorbilder oder ist der Bühnenzeichner eine Erfindung des 21. Jahrhunderts?
Ich kenne niemanden, der so etwas macht. Ich denke, das ist etwas total Neues.
Du hattest vor dem aktuellen Engagement für »Das Schloss« bereits zwei andere Einsätze als Theaterzeichner, kann man das Live-Zeichnen auf der Bühne als Trend bezeichnen?
Ja, es ist ein Trend. Viele Theater wollen etwas mit Zeichnungen machen. Und die Theater sind nicht die einzigen. Ich beobachte grad aus ganz vielen verschiedenen Richtungen kommend eine Strömung in Richtung Zeichnen, Comics und Graphic Novels.
Die Fragen stellte Andreas Rauth
Ulrich Scheel ist Comic-Zeichner und Illustrator. Seine Graphic Novel Die sechs Schüsse von Philadelphia erschien 2009 im Avant-Verlag und wurde vom ICOM als Bester Deutscher Independent-Comic ausgezeichnet. Als Bühnenzeichner arbeitete er bereits für die Kammeroper Keyner nit des Schweizer Komponisten Mathias Steinauer und Herr Miller si Reis ins Morgeland, einem »Öffentlich-historischen Colonial-Schaustück« von Mathias Heep und Robert Koller.
Das Schloss
Eine Winterreise von NOVOFLOT nach Franz Kafka
Die aktuelle Produktion der Berliner Opernkompanie NOVOFLOT ist eine Bühnenadaption von Franz Kafkas letztem Roman, inszeniert mit Liedern aus Schuberts Winterreise und Verfremdungen der polnischen Komponistin Aleksandra Gryka.
Termine
Preis: € 20 / ermäßigt € 12
Uraufführung Do 17.01.2013, 20:00 (ausverkauft)
Fr 18.01.2013, 20:00
Sa 19.01.2013, 20:00
Do 24.01.2013, 20:00
Fr 25.01.2013, 20:00
Sa 26.01.2013, 20:00
Regie Sven Holm
Musikalische Leitung Vicente Larrañaga
Komposition Aleksandra Gryka
Posaunenimprovisation Nils Wogram
Bühne und Kostüme Elisa Limberg
Dramaturgie Fadrina Arpagaus
Produktionsleitung Dörte Wolter
Mit Hans-Peter Scheidegger, Hanna Dóra Sturludóttir, Yuka Yanagihara, Nils Wogram, Ines Hu, Ulrich Scheel, dem ensemble mosaik sowie Kinderchor und –statisterie
Szenenbilder aus »Das Schloss«, Sängerin: Yuka Yanagihara, Lilly Janz, Tara Bacia, Fotos © Thomas Aurin
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