»Je spitzer die Feder, desto mehr
erkennt man«
Interview mit
David von Bassewitz
zur Spiegel Markenkampagne
JITTER: David, Du hast gerade die Spiegel Markenkampagne »Je spitzer die Feder, desto mehr erkennt man« im Auftrag von Jung von Matt illustriert. Wie kam der Auftrag zustande?
DAVID VON BASSEWITZ: Wie immer: ein Telefonanruf und … Aber meine erste Reaktion auf die Idee der Agentur war: ‚Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen soll.‘ Das hat sie offenbar überzeugt, mit mir zusammenzuarbeiten.
Wie ging es dann weiter?
Das ganze war erst mal ein Experiment. Mit der Leitidee »Je spitzer die Feder, desto mehr erkennt man«, hatte die Agentur auch das Bildkonzept vorgegeben. Als Vorbild dienten diese digitalen Collagen, bei denen ein Einzelmotiv aus hunderten kleiner Bilder zusammengesetzt wird. Die Vorstellung der Agentur war aber, so eine Anmutung als Federzeichnung umzusetzen. Ich wusste nicht, wie das technisch zu lösen sei und habe dann gesagt, das wird richtig aufwendig, wir müssen viel ausprobieren und eine lange Experimentierphase einplanen.
Wie bist Du vorgegangen?
Das erste Motiv war »Obama«, der in herausfordernder Haltung, umgeben von jubelnden Menschen gezeigt werden sollte. Wir haben dann erst mal Bildmaterial zusammengetragen. Das Ergebnis sollte trotz der fiktionalen Komposition dokumentarischen Charakter haben, das verwendete Bildmaterial also wiedererkennbar sein. Dabei stellten sich sofort Probleme ein, die weniger technisch als vielmehr inhaltlich waren. So hatte ich z. B. den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad direkt in Obamas Ohr positioniert, er lag ihm sozusagen im Ohr. Dadurch stellten sich Assoziationen von Einflüstern und Beeinflussen ein, was natürlich nicht die Intention war. Es gab dauernd spannende Konstellationen zwischen den Einzelmotiven, die immer wieder neue Interpretationen hervorriefen, die kaum vorhersehbar waren. Letztlich habe ich zwei Monate an dem Motiv gearbeitet.
War die Arbeit an den Folgemotiven einfacher?
Eigentlich nicht. Das zweite Motiv war der »Klimawandel« und danach kam die »Wirtschaftskrise«, das eine ist eine Landschaft, das andere Architektur und »Obama« ein Portrait. Die Herausforderung, die Einzelmotive mit dem Hauptmotiv zu verschmelzen stellte sich jedesmal neu und jedesmal anders. Besonders bei dem Motiv »Wirtschaftskrise« bestand laufend die Gefahr, dass die Architektur in den organischen Motiven aufweicht oder sich sogar auflöst.
Welche Herausforderungen lagen auf der technischen Seite?
Die Bilder sind vollständig in Schraffur aufgelöst, keine Outlines. Sie ähneln viel mehr einer Radierung als einer herkömmlichen Zeichnung. Der Claim funktioniert ja nur mit einer reinen Strichzeichnung, daher durften die Motive nur über die Dichte der Schraffur moduliert werden. Ich arbeite mit Lithographiefeder und Tusche.
Die Kampagne wird seit kurzem geschaltet, gab es Reaktionen?
Ja, sogar überraschend viele. Es gibt ja einerseits das offensichtliche Motiv und dann noch das verborgene Motiv, also so eine Art Vexierbild. Die Tatsache, dass man immer wieder Neues entdecken kann, macht offenbar Spaß. Ich habe selten so begeisterte Reaktionen auf eine Illustration erlebt, vor allem von Leuten, die sich sonst nicht so sehr dafür interessieren.
Mit David von Bassewitz sprach Andreas Rauth
David von Bassewitz studierte Filmwissenschaft in Erlangen und Illustration an der Fachhochschule Würzburg bei Prof. Nicolai Sarafov. Er lebt und arbeitet als freischaffender Illustrator in Berlin. Für JITTER illustrierte er den Song »Perfect Day« von Lou Reed in Ausgabe #02 und das Filmstill-Poster zu Alfred Hitchcocks »Die Vögel« ->Info + Shop.
Davids Webseite www.davidvonbassewitz.de
Weitere Artikel:
(12.02.2012)_Die Welt als Wunderkammer
Milieustudien von Ulrike Seitz. Von Kathrin Tobias.
(05.01.2012)_Stilwechsel.
E. T. A. Hoffmann:
Das Fräulein von Scuderi. Eine Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht. Rezension von Andreas Rauth.
(22.12.2010)_Absolute PartyAudio.Visual—On Visual Music and Related Media. Rezension von Andreas Rauth.
(04.11.2010)_ Und nicht vergessen: Tragen Sie eine Sonnenbrille! Rezension und Interview zu Felix Scheinbergers »Mut zum Skizzenbuch«. Von Dieter Jüdt
(24.08.2010)_ Blexbolex: Jahreszeiten. Programmatisch. Ein Spiel mit Bildern und Begriffen, von Andreas Rauth.
(07.06.2010)_ Ein Nachruf auf Frank Frazetta: Animalische Direktheit.
Von Dieter Jüdt.
(03.05.2010)_ Walton Ford: Bestiarium: Das Erhabene stürzt ins Lächerliche. Ausstellungsbericht von Andreas Rauth.
(31.03.2010)_ Lubok bei Bongoût: Eine ausgestorbene Drucktechnik wiederbeleben.
Von Andreas Rauth.
(04.03.2010)_ Larissa Bertonasco: La Cucina Verde. Interview von Andreas Rauth.
(11.09.2009)_David von Bassewitz: »Je spitzer die Feder, desto mehr erkennt man«. Interview von Andreas Rauth.