Seite aus: Felix Scheinberger: Mut zum Skizzenbuch

 

INTERVIEW

Dieter Jüdt im Gespräch mit Felix Scheinberger:

 

Dieter Jüdt: An wen richtet sich »Mut zum Skizzenbuch«?

Felix Scheinberger: Ganz klar an Studenten und Fachpublikum. Es geht tatsächlich darum, mit oder vielleicht auch trotz einer gewissen Vorbildung, Spaß am Zeichnen zu haben.

 

J: Du warst gerade als »reisender Zeichner« oder »zeichnender Reisender« in den USA.

S: Ich war in Pennsylvania und in Philadelphia. Für einen Zeichner ein ganz schöner Knaller. Man erwartet dort natürlich diese ganzen US-Klischees: Rotgesichtige Baseballkappenträger, White Trash-Typen mit T-Shirts »We support our troops« u.ä. Überraschend war – und das gab's vor ein paar Jahren nicht –, man sieht dort in den Städten zwischen den vielen geschlossenen Läden und Bible-Clubs in manchen Schaufenstern auch große Plakate mit »We support the earth«... In diesen Ecken des Landes dominierte ja früher die produzierende Stahlindustrie Amerikas. Dort findet man riesige Stahlwerke, die sehen tatsächlich aus wie rot-schwarze Gegenentwürfe zu Neuschwanstein – rostige Schlösser aus Stahl, in denen der Teufel wohnt. Die verfallen und das ist ein irrer Anblick. Hunderte von Metern hoch, gigantisch. Auch zum Zeichnen und Malen gigantisch!

 

J: Bei solchen Reisen arbeitet man als Zeichner – man könnte sagen: journalistisch.

S: Das ist auch mein Anliegen. Für mich – und auch für andere – die Welt greifbar zu machen.


J: Zu schade. dass dieser Ansatz und das damit verbundene Potential von den Medien, von Verlagen und Redaktionen überhaupt nicht erkannt wird. Fotojournalismus ist bequemes »bussiness as usual«, einen Zeichner Bericht erstatten zu lassen, mit seinen Augen, mit seiner Handschrift, ist für viele immer noch schwer vorstellbar. Obwohl ja auch jeder Fotograf »filtert«, auch er bildet ja nicht objektiv dokumentarisch ab.

S: Das Potential wird tatsächlich bisher kaum erkannt. Es gibt aber trotzdem gelegentliche Versuche. Das Magazin Designers Digest hat z.B. im vorletzten Jahr den Fotografen Stefan Enders und mich nach Istanbul geschickt, um das in Form einer Reportage mal direkt zu dokumentieren und gegenüberzustellen. Wie sieht ein Zeichner die Welt und wie sieht ein Fotograf die Welt?

 

J: Im Gegensatz zu den meisten Illustratoren bist du jemand, der primär aus seinen Skizzenbüchern schöpft.

S: Unbedingt.

 

J: In der Regel arbeitet das Gros der Illustratoren auf die übliche Art und Weise: Man bekommt einen Auftrag, macht eine Skizze, die Reinzeichnung und so weiter. Dein eigentliches Werk scheint mir aber weniger aus Auftragsarbeit, als vielmehr aus deinen unzähligen Skizzenbücher zu bestehen.

S: Das ist tatsächlich so. Ich mache ja auch viel Buch- und Editorialillustration. Da benutze ich teilweise Originale aus Skizzenbüchern die ich digital weiterverwerte oder aber, was viel häufiger passiert, arbeite ich mit Bildideen und Vorlagen basierend auf meinen Skizzenbuchmotiven. Der übliche Weg ist ja eher bei der Bildsuche Google oder ähnliches zu nutzen, z.B. wenn ich die Abbildung eines Fuchses benötige. Durch die hierarchische Gliederung der Suchmaschinen googlen natürlich alle Illustratoren denselben Fuchs. Und möglicherweise ist dann der Fuchs aus meinem Skizzenbuch lang nicht so super wie der Fuchs eines supertollen Tierfotografen …

 

J: Aber es ist dein Fuchs …

S: … aber es ist mein Fuchs.


J: Funktionieren deine Skizzenbücher für dich als visuelle Tagebücher?

S: Ja, ganz klar. Also ich schreibe auch in die Skizzenbücher rein. Auch Dinge, die vielleicht gar nicht visuell bedeutsam sind, die mir aber persönlich wichtig sind und die vielleicht später auch zu einem Bild werden.


J: Ungewöhnlich ist auch, dass ein Verlag, der seinen Schwerpunkt normalerweise auf das Thema Typographie oder Graphik-Design legt, ein Buch übers Zeichnen publiziert.

S: Stimmt, und die Zusammenarbeit mit dem Verlag Hermann Schmidt wird noch weitergehen. Zur Zeit arbeite ich an einem Buch, bei dem es auch wieder ums »Machen« und »Mut machen« geht. Der Schwerpunkt wird diesmal das Thema »Farbe« sein.

 

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