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»Der Teufel«, der schwärzeste aller Dämonen, die je mit Druckerschwärze auf die Seiten eines Bilderbuches gebannt wurden (Abb. 4), vermisst seinen Drudenfuß – und bekommt eine Ziehharmonika, die ihm sein kitschiges Schlager-Ich entlockt. Im Grunde ändert sich für ihn nicht viel, denn dort beim Volk befindet sich ja seit jeher sein angestammtes Reich. Erst wurde jenes mit des Teufels höllischer Gewalt Jahrhunderte lang in Schach gehalten, später, als es lesen und sich langweilen konnte, wandte es sich ihm in sadomasochistischer Angstlust selber zu, um seine ästhetische Welt auszukleiden: die untersten Regionen der Kulturindustrie sind bekanntlich »so heiß wie ein Vulkan«. Beide, Kitsch und Teufel leben vom Effekt. Der Schriftsteller Ernst Broch resümierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar: »Der Kitsch ist das Böse im Wertsystem der Kunst.«

Der Teufel

Abb. 4: Nie war der Teufel teuflischer als bei Chrigel Farner.

Hinter dem zum Schädling degradierten Antichristen dämmert der Eremit in seiner Einsamkeit dahin: ihm fehlt die Laterne. Als Ersatz erhält er, weil schlechter Körpergeruch ihn umwölkt, ein Deodorant. Mag seine kontemplative Lebensweise auch im Lichte der Erkenntnis stehen (oder die längste Zeit darin gestanden haben): was nützt es, wenn unter der Hinwendung an den Sinn des Lebens die Körperhygiene leidet? Überdecken wir den Alten mit einem angenehmen Duft, dann halten wir auch seine penetrante – und nichtsnutzige –Weisheit aus.

Schließlich gelangen die Helden zum Tod, der den Narren in einen Elefantenrippenkäfig gesperrt hat. Das Bild provoziert unweigerlich Schamgefühle: Weniger die Erhabenheit delirierender Ekstase als uneingeschränkte Blödheit vermittelt die Figur des ausgemergelten Hansguckindieluft, der da Löcher ins Nichts stiert, als hätte er gerade einen Hinkelstein über den Kopf bekommen (Abb. 5). Sein am Äußeren ermittelter Sympathiewert geht gegen Null, weshalb die Rettung des Vermissten nicht einem Triumph, sondern dem Scheitern der Mission gleicht, was am Ende auch irgendwie bestätigt wird.

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Abb. 5: Ein Käfig voller Narr.

»Der Tod« – ihm fehlt die Sense, daher die Ernte in Gefahr ist – wird mit einem »Riesenbausch Zuckerwatte« überlistet. Wer nun denkt, dieser mächtigste aller Herren würde allzu billig abgespeist, wird gleich darauf seinen Kurzschluss einsehen: Der findige Tod – »Diese Deliziosität inspiriert mich« – eröffnet einen Süßigkeitenladen (»Totenköpfe aus Marzipan – Steißbeine aus Lakritze – Särge aus Schokolade«) und macht damit das Geschäft seines Lebens. Rundlich geworden steht der Knochenmann lässig gegen den Tresen seines »Schleckparadieses« gelehnt (Abb. 6). Angesichts eines aufgeschwemmten Todes – der sehr an Elton John erinnert – lernt der Betrachter, dass selbst im blanken Knochen Anlagen zur Fettleibigkeit auf ihre Aktivierung warten. Wie anders wären der massige Walrossschädel und die zu Apatosaurus-Dimensionen angeschwollenen Oberschenkelknochen zu erklären? Allein für diese Idee verdient Chrigel Farner, der sich mit der Bebilderung von Gion Mathias Caveltys geschickt konstruierter Fabel selbst übertroffen hat – und wohl ab sofort als Erfinder des »fetten Knochens« zitiert werden muss –, eine Medaille – von mir aus eine von Lakritze.

Der Tod als Industrieller

Abb. 6: »Fetter Knochen« Tod.

Der Tod im Süßwarenladen ist die perfekte Integration scheinbar unvereinbarer Vorstellungen. Der Herr des Endes begibt sich als Anbieter süßer Gaumenfreuden an den Anfang. Er gebietet über den üppigsten Sehnsuchtsort der Kindheit mit der denkbar gönnerhaftesten Großzügigkeit eines industriellen Patriarchen (Abb. 6). Unverdorbene Lust und lustvolles Verderben sind ununterscheidbar ineinander verschränkt. Hier wird Kindheit fabriziert, und dass dafür niemand als der Tod in Frage kommt, leuchtet unmittelbar ein. Ihm obliegt die Sorge um den Nachschub (resp. Nachwuchs), daher gleicht sein Süßwarenladen auch einem fruchtbaren Vanitas-Labyrinth, einer hochproduktiven, pulsierenden Gebärmaschine – doch hervorgebracht wird am Ende wieder nur Tod (Abb. 7 u. 8). Kapitalismus entsteht in der Begegnung von Lust und Tod, nicht wahr? Und dass so manche (kindliche) Freude, so mancher Genuss nur angesichts der Endlichkeit des Daseins seinen vollen Reiz entfaltet, ist ja wohl eine Binsenweisheit.

Am Ende der Reise stellt der Narr noch klar – jetzt kommt die Bestätigung der gescheiterten Mission –, dass er es war, der den Kartenfiguren die Accessoires wegnahm, da er sich im Selbstauftrag die Kontrolle über das Tarot-Reich zugewiesen hatte: »Einer muss hier ja nach dem Rechten schauen«, spricht der Spießer mit der Schellenkappe. Üblicherweise ist am Ende einer Heldengeschichte das Gute in der Welt wiederhergestellt, doch Nemorino hat ein Arschloch gerettet – naja. Dann trennen sich die Wege und Nemorino kehrt durch den Kamin zur Großmutter zurück. Der Kontrollfreak gibt vorher noch kund, er werde »von hier oben weiterhin ein besonderes Auge« auf ihn haben.

Doch Gion Mathias Cavelty sah sich wohl irgendwie zum Happy End verpflichtet. Denn am Ende der Geschichte erreicht Nemorino eine Karte mit der Aufforderung: »Schau bald mal vorbei und versuch meine neueste Kreation: Narrenhirnchen aus erikaviolett türkisgrün karierten Marshmallows …«

Ja, liebe Kinder, der Tod versüßt uns das Leben. Und der Narr ist (war) kein lustiger Anarchist, sondern Platzwart.

Abb. 7 u. 8: Der Süßwarenladen des Todes: Eine hochproduktive, pulsierende Gebärmaschine.

Gion Mathias Cavelty, mit Bildern von Chrigel Farner:
Nemorino & das Bündel des Narren
Salis Verlag Zürich 2012
Gebunden, 56 Seiten, durchgehend ganzseitige, vierfarbige Bilder, 21 x 29.7 cm
€ (D) 39.00 / CHF 48.00 / € (A) 40.10

www.salisverlag.com

 

Alle Bilder © bei Chrigel Farner und dem Verlag. Fotos © Andreas Rauth

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