Ungestalt

Unheimliche, glänzend technoide Formen; einige erscheinen funktional (man beachte die Räder, Griffe und Röhren) und doch erfüllen sie keinen ersichtlichen Zweck. In der Nähe hängen gebrauchte Decken und Stofffetzen, zum Teil noch mit Preisschild versehen, schlaff an der Wand. An anderer Stelle hinterlässt die Hand der Künstlerin zähflüssig wirkende Spuren auf billigem Kunstleder – ein Kunstwerk, dass durch seine besondere Materialität die am stärksten auratisch aufgeladene Gattung der Kunstgeschichte — die Malerei — weniger edel, dafür aber seltsamer und irgendwie unangenehm macht. Aber was könnte seltsamer und unangenehmer sein als eine Puppe, die in eine mit Gummisilikon überzogene Kinderdecke eingewickelt ist, sodass nur noch die Stirn und die Haare sichtbar sind. Diese schauerlich legere Art und Weise wie sie auf dem Boden liegt, kann nur als gruselig beschrieben werden. Dies sind einige der ersten Dinge, auf die man in der Ausstellung trifft.

Es ist nicht einfach, eine Ausstellung zu erfassen, die den Titel Ungestalt trägt. Ungestalt ist ein komplexer Begriff in der deutschen Sprache, der weder mit dem englischen «formlessness» noch dem französischen «informe» übersetzt werden kann, und der doch etwas von ihrem Wesen teilt. Tatsächlich beinhaltet der selten benutzte Begriff unterschiedliche Bedeutungen, die ihn für die gegenwärtige Situation so perfekt machen. Zum einen beschreibt das Wort etwas, das nicht einfach formlos oder amorph ist, sondern eher mit einer klar umrissenen Beschreibung oder Erscheinungsform hadert – sprich mit der «Gestalt» selbst ringt. Zum anderen beschreibt es etwas, das plump und hässlich, möglicherweise sogar monströs erscheint. Unter diesem Sammelbegriff können also amorphe, klebrige, instabile, formveränderliche und flüchtige Emanationen gefasst werden. Vielleicht wird etwas, das sowohl Form ist, sowie diese auch aktiv auflöst, dem Begriff noch am ehesten gerecht, der sich selbst einer einfachen Festschreibung entzieht. Aber wie können wir die Auslegung des Begriffes nicht nur materiell, sondern auch in der Wahrnehmung und konzeptionell greifen? Und wie könnte das Nachdenken darüber zum Verständnis der verschiedenen künstlerischen Praktiken der Künstlerinnen und Künstler — lebend oder tot — dienen, die ihre Arbeiten vor einem halben Jahrhundert oder erst kurz vor der Eröffnung der Ausstellung produziert haben

Es sind exquisit seltsame, widerspenstige Werke, die sich — jedes auf seine Weise — weigern, sich wie gute, stabile und ausgewogene Formen zu verhalten. Dabei können manche nichtsdestotrotz attraktiv und elegant wirken. Oft haben sie auch etwas Obszönes, Beunruhigendes, oder (ganz buchstäblich) Verdorbenes. Während die Ausstellung Fotografie, Skulptur, Textil- und Video-Werke sowie Zeichnung in Szene setzt, die durch einen körperlichen, amorphen Exzess gezeichnet sind, stellt sich gleichzeitig auch die Frage: Wie kann eine Ausstellung selbst einem gewissen Grad von ‹Ungestalt› unterworfen werden? Eine Möglichkeit ist, auf Kontrolle zu verzichten. Entsprechend wurde eine Künstlerin eingeladen, ihren Einfluss auf die Ausstellung auszuüben. Ihre Interventionen bei Aspekten der Vorbereitung, Präsentation und Kommunikation bilden ihren künstlerischen Beitrag zur Ausstellung. Ein anderer Künstler wurde gebeten, immaterielle Kunstwerke beizutragen. Eines davon wird tatsächlich die Rahmenbedingungen der Ausstellung verändern, indem unsichtbare Mächte ihren Einfluss auf die Luftfeuchtigkeit der Ausstellungsräume ausüben. Und wiederum ein anderer Künstler platzierte ins Zentrum der Ausstellung ein sich veränderndes und langsam verfaulendes Kunstwerk.

Die Ausstellung erstreckt sich über die fünf Räume im Erdgeschoss der Kunsthalle Basel und vereint fünfzehn Künstlerinnen und Künstler sowie ein Künstler-Duo, die verschiedene Generationen repräsentieren. Ihre jeweiligen neuen als auch bestehenden Kunstwerke sind eine Reaktion auf ihren spezifischen zeitlichen Kontext und sind gekennzeichnet durch eine verlockende, und doch verunsichernde Flüchtigkeit.

Mit Arbeiten von: Caroline Achaintre, Olga Balema, Joachim Bandau, Trisha Donnelly, Marcel Duchamp, Michaela Eichwald, Pakui Hardware, Florence Jung, Eric N. Mack, Liz Magor, Park McArthur, Nathalie Perrin, Tomo Savić-Gecan, Lucie Stahl, Alina Szapocznikow, Adrián Villar Rojas

  • Kunsthalle Basel
    Steinenberg 7, CH-4051 Basel
  • www.kunsthallebasel.ch
  • Öffnungszeiten: Di / Mi / Fr 11–18 Uhr, Do 11–20.30 Uhr, Sa / So 11–17 Uhr