Naturwissenschaft und Künstlerbuch – wie geht das zusammen? Sehr gut, wie die Ausstellung des Klingspor Museums beweist. Dazu sind entsprechende Werke aus dem Bestand ausgewählt. Sie zeigen auf, wie Künstler Aspekte der Naturwissenschaft aus ihrem Blickwinkel zu Gunsten visueller und inhaltlicher Aussagen zur Darstellung bringen.
Es sind Bücher gänzlich eigener Art. Dabei werden Schnittmengen zwischen Philosophie und Naturwissenschaft deutlich: die Frage nach dem Ursprung allen Seins und die Überlegung, was denn den Menschen ausmacht. Beide Disziplinen bedienen sich der Logik und erstreben einen Erkenntnisgewinn. Vielfach werfen neue naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse ethisch-philosophische Fragen auf. Was darf Wissenschaft und wie wirkt sich neues Wissen auf das Individuum oder gar die Menschheit aus? Philosophen wie Aristoteles oder Pythagoras waren ebenso Naturwissenschaftler und Mathematiker wie Physiker des 20. Jahrhunderts – beispielweise Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker – auch Philosophen waren. »Was sind wir und wohin gehen wir?« So lautet der Titel eines Essays des französischen Nobelpreisträgers für Physik Louis de Broglie. Die Abhandlung wurde als künstlerisch gestaltete Ausgabe mit Holzstichen des französischen Künstlers Albert Flocon ediert.

Irene Wedell, Maria Sybilla Merian
In diesem Lichte scheinen naturwissenschaftliche Sujets im Künstlerbuch nicht mehr ungewöhnlich. Sofort wird die gesellschaftliche Relevanz einer Arbeit der japanischen Künstlerin Ryoko Adachi augenscheinlich, die Simone Martinis Verkündigungsengel einem Protokoll des japanischen Ethikrates, welches die Klontechnologie behandelt, gegenübergestellt. Ein Unikatbuch Barbara Fahrners, das Issas Haikus über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens mit minutiösen Zeichnungen von Blüten und Fruchtständen versieht, macht die Verzahnung von Kunst, philosophischer Betrachtung und exakter Wissenschaft deutlich. Ebenso Annette Vogels Buch Wellenlängen, in dem physikalische Wellenlängen den »Wellenlängen« im Zwischenmenschlichen gegenübergestellt werden. Nora Schattauer zeigt in ihren versuchsartig angeordneten Reihen die schlichte Ästhetik der Reaktion von Salzen und Kupfersulfaten, die auf zarte Papiere getropft sind. Max Ernst, der bedeutendste deutsche Surrealist, huldigt dem genialen Astronomen Tempel mit großformatigen Farbradierungen in seinem opulenten Malerbuch Maximiliana.
Biologie, Physik, Astronomie, Medizin, die Mathematik als naturwissenschaftliche Hilfswissenschaft aber auch fachübergreifende wissenschaftliche Themen – all dies findet seinen Niederschlag im Künstlerbuch. Nicht nur als Themenstellung finden naturwissenschaftliche Erkenntnisse ihren Eingang in die Buchkunst, auch künstlerische Konzepte bedienen sich ihrer: chemische Prozesse, die das Kunstwerk geplant verändern, z. B. durch dauerhafte Belichtung verschwinden lassen.
Die Exponate stammen alle aus dem reichhaltigen Fundus des Museums. Die Zusammenstellung der Ausstellung versteht sich exemplarisch. Sie zeigt beispielhaft die dem Künstlerbuch eigene Lesart auf, Sachverhalte in Augenschein zu nehmen und sie auszuloten auf den beiden Standbeinen des Wissen schaffenden Mediums Buch einer- und der visuell-gestalterischen Einlassung des Künstlerischen andererseits.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
- Klingspor-Museum
Herrnstr. 80, 63065 Offenbach - Öffnungszeiten: Di, Do, Fr 10 – 17 Uhr
Mi 14 – 19 Uhr
Sa, So 11 – 16 Uhr - www.klingspormuseum.de