Die Neue Galerie Graz besitzt etwa 280 Farbholzschnitte von japanischen Künstlern aus der Zeit vom Ende des 18. sowie des 19. Jahrhunderts. Die Themenvielfalt des japanischen Holzschnittes, welche die Geschichte des Landes ebenso aufgreift wie unterschiedlichste Motive des Alltags dieser Zeit, bildet sich auch in der Sammlung der Neuen Galerie Graz ab, die bislang nur wenige Male gezeigt wurde. Die aktuelle Ausstellung Kampf und Leidenschaft. Japanische Farbholzschnitte präsentiert nun einen Großteil dieser Werke erstmals nach thematischen Aspekten gegliedert.
Bis heute hat der traditionelle japanische Farbholzschnitt nichts von seiner Faszination eingebüßt. Das betrifft sowohl seine spezifische Ästhetik, welche in vielem die visuelle Kultur der Populärliteratur und des Bildes in den Massenmedien des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart antizipiert, als auch den Reiz einer vergangenen, für Bewohner/innen der westlichen Hemisphäre exotischen und rätselhaften, vor allem aber höchst interessant wirkenden Lebenswelt vermittelt.
Zudem war die Bedeutung des japanischen Farbholzschnitts für die westliche Kunstvon großer Bedeutung. Dieser Umstand wurde zuletzt in mehreren Ausstellungen behandelt, wie beispielsweise in der Schau Kunst für alle. Der Farbholzschnitt in Wien um 1900 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt und der Albertina in Wien sowie in der Ausstellung Faszination Farbholzschnitt. Der japanisierende Farbholzschnitt als Kunstform des Jugendstils des Historischen Museums und Völkerkundemuseums St. Gallen, beide 2016. Der japanische Farbholzschnitt war auch eine wichtige Inspirationsquelle für das druckgrafische Werk der steirischen Malerin Norbertine Bresslern-Roth.
Die neue, von Peter Peer kuratierte Schau Kampf und Leidenschaft. Japanische Farbholzschnitte widmet sich nun in drei Hauptthemenblöcken der Vielschichtigkeit des japanischen Farbholzschnitts aus der Zeit vom Ende des 18. sowie des 19. Jahrhunderts.
Geschichtsbilder zwischen Mythos und Wahrheit
An erster Stelle steht die reichhaltige Mythen-und Sagenweltder japanischen Kultur. Dabei wurden Stoffe der chinesischen und japanischen Geschichte aufgegriffen, vor allem Szenen aus der Zeit der blutigen Bürgerkriege des japanischen Mittelalters vom 12. bis ins 16. Jahrhundert, sowie eine Vielzahl von Legenden, die sich um berühmte Schlachten, Krieger und Helden rankten. Dem Zeitgeschmack gemäß waren die Kampf- und Heldendarstellungen teilweise fantasievoll ausgeschmückt. So gibt es Darstellungen von Kämpfen berühmter Helden, die nicht nur übermächtige militärische Gegner, sondern auch mythische Ungeheuer und monströse Wesen zu bezwingen haben. Die Heldendarstellungen und Kampfszenen in der Sammlung stammen vor allem von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861).
Kabuki – das Theater und seine Stars
Höchst populär waren Bilder aus dem volkstümlichen Kabuki-Theater. Dieses Genre bildet schätzungsweise auch den überwiegenden Themenanteil an Farbholzschnitten der Edo-Zeit. Sie bilden einen fließenden Übergang zu den Kampf-und Heldenszenen, denn es war gerade die dramatische Geschichte Japans, die im Kabuki-Theater wiederbelebt wurde und so über ein weiteres Genre in den Holzschnitt einfloss.
Gefragt waren Porträts von Schauspielern in ihren (berühmten) Rollen oder als Privatleute (Yakusha). Sie waren – nicht anders als heute – die Stars ihrer Zeit, über die man als einfacher Bürger möglichst alles wissen »musste«. Die Neue Galerie besitzt einige Dutzend Theaterszenen und Schauspielerporträts von Utagawa Kunisada I (ident. mit Utagawa Toyokuni III), (1786–1865). Beliebt waren auch Porträts von Kurtisanen und Geishas. Nebenbei wurden über diese Darstellungen die neuesten Modetrends transportiert. Utagawa Kunisada I (1786–1865) war ebenso wie Utagawa Toyoshige (1777–1835) und Kitagawa Utamaro I (1753–1806) ein Meister solcher Porträts.
Von der urbanen Lebenswelt zur neu entdeckten Landschaft
Daneben erwuchs ein ganzes Spektrum an Themen und Motiven aus der vertrauten und alltäglichen Gegenwart, welche vor allem die urbane Lebenswelt und die neu entdeckte Landschaft thematisierten. Während der Edo-Zeit, der längsten Friedensepoche in der Geschichte des Landes, erlebte Japan ein starkes Wachstum seiner Städte, das mit dem zunehmenden Wohlstand der bürgerlichen Gesellschaft einherging. Die städtische Oberschicht war geprägt von vermögenden Kaufleuten, die zu Trägern des kulturellen Lebens wurden und einen eigenen, kunstsinnigen und genussorientierten Lebensstil kreierten. Es entstanden Stadtviertel mit Theatern und Restaurants oder Geschäften, die Luxusartikel wie kostbare Kleider oder Kosmetikprodukte anboten. All diese Einrichtungen einer modernen Stadt kamen der müßiggängerischen Lebenseinstellung der urbanen Gesellschaft entgegen, die eine neue Freizeitkultur entwickelte.
Im 19. Jahrhundert erlebte in Japan auch die Landschaftsdarstellung einen Aufschwung. Ähnlich wie im Westen rückten berühmte Gegenden in den Fokus, wie beispielsweise der heilige Berg Fuji oder andere markante landschaftliche Attraktionen entlang der Reisewege, deren Schönheit die Landschaftsbilder priesen. Zumeist waren es keine individuellen Orte, sondern Landschaften, die im allgemeinen Bewusstsein eine besondere literarische, religiöse oder historische Bedeutung für Japan besaßen. Man bediente sich Serien wie etwa jener über die Tôkai-Handelsstraße zwischen Edo und Kyôto und ihre 53 Raststationen. Auch entwickelte sich in der japanischen Landschaftskunst eine Tendenz – ähnlich wie zu selben Zeit im Westen –, die Landschaft romantisch zu überhöhen, also die Größe, Gewalt und Schönheit der Natur eindrucksvoll wiederzugeben. Die Sammlung der Neuen Galerie Graz besitzt diesbezügliche Werke von Utagawa Hiroshige, (1797–1858), Katsushika Hokkei (1781–1850) und Katsushika Hokusai, (1760–1849), welche zu ihrer Zeit die Landschaftsdarstellung im Kontext der Themen des japanischen Holzschnitts etablierten.
Japanische Holzschnitte sind wichtige Belegstücke für die Kultur des damaligen Japans. Diese Kunstform steht in einem engen Verhältnis mit dem Aufstieg der bürgerlichen Schicht in den wachsenden Städten Japans, die zu ihren Hauptabnehmern zählte. Trotz der rigorosen Isolation, die das Land bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte, lassen sich ähnliche gesellschaftliche Entwicklungen und die diesbezügliche Rolle der Kunst auch im Westen zur selben Zeit erkennen. So ermöglichen diese Werke Einblicke in eine Welt, die den westlichen Betrachterinnen und Betrachtern nur auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint und trotz mancher kultureller Unterschiede auch vertraute Züge besitzt.
Kuratiert von Peter Peer
Zur Ausstellung erscheint ein 120-seitiger Katalog in deutscher Sprache, der für 19,90 Euro im Shop der Neuen Galerie Graz erhältlich ist.
- Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel, 8010 Graz - www.neuegaleriegraz.at